Oleg Blochin – ein Floh, einen Sommer lang

Der Käse war gegessen, aber erst im März 1988. Die OÖ. Nachrichten hatten die Meldung exklusiv.

Wer über die glorreichen Zeiten des SK Vorwärts Steyr in der nicht allzu fernen Vergangenheit räsoniert, kommt um einen Namen nicht herum: Oleg Blochin. Oleg Blochin, der Weltfußballer des Jahres 1975, der für Dynamo Kiew in mehr als 400 Meisterschaftspielen mehr als 200 Tore erzielte, der zwei Mal den Europapocal der Cupsieger holte. Der Mann, den man in seiner Heimat ob seiner Schnelligkeit „Blocha“ (Floh) nannte, schnürte von März 1988 an eineinhalb Jahre lang die Schuhe an der Volksstraße. Er schoss den SK Vorwärts nach 37 Jahren in die höchste Spielklasse Österreichs zurück. Das Tor im entscheidenden Spiel gegen den SK VOEST Linz am 3. Juni 1988 im Linzer Stadion in der 70. Minute hat sich in das Gedächtnis einer ganzen Generation von Fans des SK Vorwärts gebrannt.

Bei aller Euphorie, die berechtigt ist, ein paar nüchterne Fakten: 41 Meisterschaftsspiele und zwei Cup-Spiele bestritt Blochin für den SK Vorwärts, er erzielte dabei 10 Tore. Fünf davon in der ersten Frühjahrssaison im Aufstiegs-Play Off. Schon in der darauffolgenden Herbstsaison in der obersten Spielklasse verblasste der Stern Blochins zunehmend.

Die Chronologie der Ereignisse

Aber blenden wir zunächst zurück, zu einer spannenden Chronologie der Ereignisse. Dynamo Kiew gastierte im Dezember 1987 als Starensemble bei einem Hallenturnier in Linz. Der SK Vorwärts schaffte im Finale gegen die Mannschaft aus dem Osten ein 2:2 – der Ausgleich gelang Kurt Hochedlinger in letzter Sekunde, per Kopf – wie auch sonst. Das Elfmeterschießen wurde nach 14 verwandelten Penaltys in beiderseitigem Einvernehmen abgebrochen. Offiziell: damit die Mannschaft aus Kiew das Flugzeug nicht versäumt. Der Sportmanager Robert Tichy hatte Kiew nach Linz gelotst und er hatte noch andere Pläne.

Das Tagblatt berichtete kurz vor Weihnachten sehr nüchtern unter der Überschrift „Vorwärts: Geteilter Sieg, ganzer Blochin?“ über die Sensation, die sich anbahnen sollte:

„Dressentausch gab’s zwischen den beiden Siegern keinen. Und doch soll bereits im März der prominenteste Kiewer das Vorwärts-Leiberl tragen. Altstar Oleg Blochin, 34, erhält die Freigabe für das Ausland. Nach dem Finale wurde über den Sensationstransfer verhandelt, in der nächsten Woche steigt die zweite Gesprächsrunde. Die Finanzierung scheint gesichert.“

Wir reden vom Dezember 1987: Das Starensemble aus Kiew war bereits etwas in die Jahre gekommen, die Sowjetunion ebenfalls. Perestroika (Umgestaltung) lautete das Buzzword der Ära von Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow. Transfers von sowjetischen Spitzensportlern in den Westen waren zu der Zeit dennoch äußerst selten. Ein Jahr zuvor war Sergej Schawlo von Torpedo Moskau zu Rapid gewechselt. Doch Oleg Blochin war ein anderes Kaliber. Weltfußballer, Ikone in Kiew und im sowjetischen Team. Und jetzt können wir es verraten: Das Städtchen Steyr sollte ihn an Land ziehen.

Für eine Handvoll Dollars

Alle Details und Hintergründe zu dem damals sensationellen Deal kennen wir nicht. Wer in jedem Fall eine Rolle spielte: Robert Tichy und dessen Kontakte in den Osten. Der Leiner-Manager und SK Vorwärts Vizepräsident Hansjörg Schelling – heute Finanzminister der Republik Österreich. Ein schillernder Star im Trikot des kreuzbraven Möbelhauses kam dem Marketing-Mann vermutlich zupass. Präsident Alois Radlspäck, der einen damals noch soliden Provinzverein mit Luft nach oben und noch wenig Sorgenfalten behände führte. Und mit Sicherheit spielten sie eine Rolle: Dollarnoten, die in der Hand manches Sowjetfunktionärs den einen oder anderen Stempel in Gang setzen konnten.

Die Medien sprangen pflichtschuldig auf den Blochin-Zug auf, der verdächtig lange im Bahnhof verweilte. Die Sportschlagzeilen im Jänner und Februar 1988 waren geprägt von „Blochin kommt sicher“ und „doch nicht“ Meldungen. Die Krone richtet den OÖN galant aus, dass sich die Redakteure einen russischen Bären aufbinden ließen und so fort.

Ankunft am 26. März 1988

Der März zog ins Land. Das erste Heimspiel gegen Mödling musste witterungsbedingt verschoben werden. Das erste Auftritt im Aufstiegs-Playoff – ein torloses Remis in Krems – wurde durchaus als Erfolg für die Mission Aufstieg gewertet. Für Samstag, den 26. März, war der LASK in Steyr angekündigt und ein paar Regenschauer. Und ein Herr aus Kiew. Die OÖN erinnern sich in einem Rückblick:

„Und ein halbes Jahr später, im März 1988, passierte dann das: Die letzte Verhandlungsrunde mit dem russischen Sportminister Vladimir Kokuriw war irgendwie dumm gelaufen, Tichy, der den damals 35-jährigen Blochin in Russland eigentlich nur mehr abholen wollte, fuhr ohne seinen Star zum Flughafen zurück und stand unverrichteter Dinge beim Check-in. Und dann kam ihm der Gedanke, dass er bei der finalen Verhandlung mit den Apparatschiks möglicherweise auf eine Kleinigkeit vergessen haben könnte.

Tichy beorderte seinen Mitarbeiter Peter Riepl kurzerhand in den Kreml zurück. Mit auf den Weg gab er dem freiberuflichen Journalisten einen guten Tipp („Wenn sie dich beim Haupteingang hinauswerfen, dann musst du durch den Hintereingang wieder hineingehen“) und eine Handvoll Dollar. Wie dick das Bündel war, will der Herr Riepl inzwischen vergessen haben, aber es wird schon fett genug gewesen sein. Denn die russischen Sportbehörden gaben schließlich grünes Licht für einen Transfer, der für den größten russischen Fußballer der Geschichte um einige Jährchen zu spät gekommen ist.“

Die Sache war gegessen, Blochin kam tatsächlich an diesem Samstag und der Terminkalender wäre tatsächlich ein Spielverderber, wenn Blochin das Spiel um ein paar Stunden verpasst. Es war tatsächlich ein trüber Tag im Frühjahr mit ein paar Topfen Regen. Jedenfalls verlegte der Schiedsrichter das Spiel von Samstag auf Sonntag, nachdem der Feuerwehr „Wasser Marsch“ befohlen wurde, obwohl es nirgendwo brannte.

Karikatur in den OÖ. Nachrichten: „Gemma Blochin schauen“.

Das Spiel am Sonntag endete 0:0, Blochin ließ ein paar Mal seine Klasse aufblitzen und er war offenbar nur mit Handgepäck angereist. 15 Paar Fußballschuhe musste der ehemalige Weltstar beim Zeugwart in Steyr anprobieren, ehe eines passte.

Das erste Tor gelang Blochin beim Nachtrag gegen Mödling (3:1) nur ein paar Tage später. Der Zug Richtung 1. Division kam ins Rollen, die Zeit dafür war reif. In den beiden Jahren zuvor scheiterte man im Aufstiegs-Playoff jeweils

7. Runde im Mittleren Paly Off: Madlener und Blochin entzaubern die Austria in Lehen.

knapp. Beim dritten Mal sollte es klappen. Erwin Fuchsbichler im Tor, der Kämpfer Kurt Hochedlinger und der Sir Radan Lukic in der Abwehr, die spielfreudige Diva Daniel Madlener im Mittelfeld mit dem Rackerer Ali Facel bildeten das Rückgrat einer Mannschaft, die es wissen wollte und die es konnte.

Und vorne enttäuschte Blochin nicht. Seine fünf Tore gegen Mödling, St. Pölten, Austria Salzburg (2) und Voest Linz trugen entscheidend dazu bei, dass der SK Vorwärts erstmals seit 1951 wieder

Das Spiel, das wir nie vergessen und die Namen, die wir nie vergessen: Madlener und Blochin schießen uns in den Himmel.

erstklassig war. Bereits eine Rund vor Schluss machte die Mannschaft mit dem legendären 2:0 gegen VOEST Linz auf der Linzer Gugl den Sack zu.

Legendär auch das Spiel in St. Pölten bei dem mit Oleg Blochin und Mario Kempes gleich zwei Weltstars am Ende ihrer Karriere nicht nur aufeinander, sondern auch das Tor trafen. Allerdings recht spät. In der 90. Minute versenkte Kempes einen Elfmeter, Blochin antwortete im Gegenzug nach einem Energieanfall auf seine Art.

Wenn Vorwärts zu Gast ist, dann kommt nicht irgendwer. Die Sportplatzinfo des VSE St. Pölten in Vorfreude auf das Match. [credit: VSE Report]
Der SK Vorwärts war zurück in der höchsten Liga des Landes. Blochin blieb und er blieb viel schuldig.

Keine große Liebe: Blochin und Barthold

Zur Überraschung aller wurde das erfolgreiche Trainerduo Adamec/Brunmayr zerisssen. Der Wiener Peter Barthold wurde als Trainer geholt, Brunmayr musste gehen, Adamec wurde Cotrainer und Blochin kein Freund von Barthold und dessen Trainingsmethoden, die mitunter auch Dauerläufe auf den Damberg beinhalteten. Das war fast eine Beleidigung für einen Stürmer, der zu seinen Glanzzeiten die 100 Meter in 11,0 Sekunden sprintete und eine Qual für einen Strafraumstürmer, der sich in der Kabine nach dem Spiel schon schnell mal eine Zigarette anzündete. Barthold nimmt sich gegenüber dem Stürmer kein Blatt vor den Mund: “

„Seit ich in Steyr Trainer bin, hat er nur drei Mal mein Konditionsprogramm mitgemacht. Entweder der Legionär hatte Werbetermine, oder er meldete sich verletzt.“
(Quelle: Kronen Zeitung, Oktober 1989)

Der erste Treffer im Oberhaus gelang Blochin erst in der sechsten Runde, beim 1:1 gegen den Sportclub in Steyr. Es sollte der einzige Treffer Blochins in der obersten Spielklasse Österreichs bleiben. Nach dem verlorenen Spiel gegen den GAK platzte Trainer Barthold der Kragen:

„Wenn es nach mir ginge, würde ich ihn sofort nach Hause schicken, Olegs Körper ist verbraucht, er ist ausgebrannt, das Tempo in der 1. Division ist ihm zu hoch.“ 

Trainer Barthold nimmt sich kein Blatt vor den Mund. [credit: Kronenzeitung Oktober 1988]
Wir merken an: Noch im September des Jahres wurde Blochin vom sowjetischen Teamchef Valeri Lobanovsky für ein Freundschaftsspiel der UdSSR gegen die BRD einberufen. Blochin spielte in Düsseldorf 45 Minuten und machte sich Hoffnungen, auch für das anstehende WM-Qualifikationsmatch in Kiew gegen Österreich berücksichtigt zu werden, dazu kam es allerdings nicht. Blochins Karriere im Team der UdSSR war vorüber und in Steyr war er angezählt.

In Steyr eckte Blochin nicht nur bei Trainer Barthold an. Sponsoren-Vertreter und Finanzier Hans Jörg Schelling ortete Vertragsbrüche, weil sich Blochin in Sachen Vermarktung nicht an Vereinbarungen hielt. Präsident Radlspäck platzte der Kragen, als Blochin nach der Teilnahme am Abschiedsspiel für Willy van de Kerkhof in den Niederlanden ein paar gemütliche Urlaubstage im Land der Tulpen anhängte, während man zu Hause noch um den Einzug ins obere Play Off kämpfte.

Starkes Kollektiv sticht Blochin aus

Mit zwei Punkten Rückstand auf den Sportclub verpasste der SK Vorwärts nach der Herbstrunde das Meister Play-off. Das Aufstiegs Play-off hatte mit dem SK Sturm Graz (mit Walter Schachner) LASK, Austria Salzburg (mit Hans Krankl) und Austria Klagenfurt einiges zu bieten. Der Wiederaufstieg gelang souverän. Die große Rolle, wie ein Jahr zuvor, spielte Blochin nicht mehr. Nur drei Mal (jeweils gegen Flavia Solva) trug sich der Stürmer in die Torschützenliste ein. Polanz, Madlener, Novak, Facel und Gröss waren das Gerüst eines starken und gereiften Kollektivs, das keine Stars mehr zu benötigen schien. Am 10. Juni 1989 schlüpfte Oleg Blochin beim 3:3 in Krems zum letzten Mal ins rot-weiße Trikot.

Der SK Vorwärts war nach Dynamo Kiew der erst zweite Verein in seiner Karriere. Ein halbes Jahr unter Zyperns Sonne bei Aris Limassol hängte Blochin nach seinem Engagement in Steyr als Spieler noch an, ehe er die Trainerlaufbahn einschlug.

Was von Oleg Blochin blieb, ist die Erinnerung an große Emotionen rund um den Aufstieg in die oberste Spielklasse im Jahr 1988 und das Gefühl, vom Hauch der großen Fußballgeschichten zumindest ein wenig gestreift worden zu sein.

Links:

Oleg Blochin auf Wikipedia

Die Spiele von Oleg Blochin beim SK Vorwärts Steyr:

Auflistung folgt…

Vorwärts-Spiele in der Ära Blochin:

Frühjahr 1988 – Aufstiegs-Playoff
Zu allen Spielen auf
austriasoccer.at

Und die Pflichtspiele und Daten 1988/89 gibt’s HIER

(Christian Kreil)

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